Warum zukunftsfähige Stadtentwicklung innovative Landschaftspflege braucht

Die Tegeler Stadtheide - ein Raum für Natur, Leben und Forschung

Das ehemalige Flughafengelände Berlin TXL ist ein Ort im Wandel: Projektionsfläche für urbane Ideen ebenso wie künftiges Naturschutzgebiet und insgesamt ein vorbildliches, nachhaltiges Stadtentwicklungsprojekt. André Ruppert, Gesamtprojektleiter Tegeler Stadtheide (Landschaftsraum Tegel) erläutert den räumlichen Kontext und die anstehenden Aufgaben, welche elementare Rolle die „Tegeler Stadtheide“ für die Projektentwicklung spielt und wie hier eine ganzheitliche Idee von Stadt Gestalt annimmt.

3 Fragen an André Ruppert, Grün Berlin Gesamtprojektleiter Tegeler Stadtheide

Wie lässt sich das ehemalige Flughafengelände räumlich und zeitlich in das Freiraumsystem aus Jungfernheide, Tegeler Forst und der Tegeler Wasserlandschaft einordnen?

Die Jungfernheide war vor der Industrialisierung ein großer Forst im Nordwesten Berlins und ist heute immerhin noch ein kleiner Wald. Sie erstreckt sich vom Südostufer des Tegeler Sees in Richtung Osten und ist das Ursprungsgebiet des Flughafens Tegel. Weite Teile der Jungfernheide wurden schon Ende des 19. Jahrhunderts für die Siemenswerke und später für die dazugehörigen Arbeitersiedlungen gerodet. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts gab es Pläne für einen Stadtpark am südlichen Rand der Jungfernheide, die in den 1920er Jahren dann für den Volkspark Jungfernheide umgesetzt wurden. Zwischen diesem Volkspark und dem heutigen Forst Jungfernheide liegt der Flughafen Tegel.

Große Flächen dieses Geländes wurden bereits im 19. Jahrhundert zunächst als Schießplatz und bis zum Ende des Ersten Weltkriegs als Experimentierfeld für die militärische Luftschifffahrt genutzt. Ab 1930 diente das Areal der Raketenforschung und im Zweiten Weltkrieg als Flak-Truppenübungsplatz. Es war deshalb ein Hauptziel der alliierten Luftangriffe und ist bis heute in weiten Teilen von Munitions-, Bombenresten und weiteren Kampfmitteln durchsetzt. Diese zu beseitigen, gehört zu den ersten Aufgaben von Grün Berlin im Rahmen der Flächenentwicklung. Die zivile Luftfahrt hielt erst in den 1960er Jahren in Tegel Einzug und expandierte dort bis zur Schließung des Flughafens im November 2020.

Warum heißt das Gelände „Tegeler Stadtheide?“ Und wie ist das Verhältnis zur künftigen Bebauung und zu den neuen Parks in Berlin TXL?

Mit der Umwidmung des Rollfeldes zum Naturschutzgebiet soll nun die „Tegeler Stadtheide“ entstehen. Das ist ein Kunstbegriff, der zwischen dem urbanen und dem ländlichen Charakter des Freiraums vermitteln will. Der Name „Landschaftsraum Tegel“ beschreibt das gleiche Gebiet, ist aber nicht ganz so präzise. Der „Landschaftspark“ hingegen wird ein durchgestalteter Park, der nach dem Gewinnerentwurf des Landschaftsarchitekten Jürgen Weidinger aus dem Wettbewerb im Jahr 2019 in der Verantwortung des landeseigenen Unternehmens Tegel Projekt GmbH umgesetzt werden wird. Er liegt ganz im Osten des ehemaligen Rollfeldes und grenzt an das, ebenfalls von Tegel Projekt zu entwickelnde, neue Schumacher Quartier an. Dieses Wohngebiet wird zudem einen eigenen „Quartierspark“ erhalten, der ebenfalls nach den Entwürfen von Weidinger entstehen und noch artifizieller und städtischer aussehen wird als der Landschaftspark. Insgesamt gibt es also eine sukzessive Entwicklung von Osten nach Westen hin zu mehr Künstlichkeit: vom ursprünglichen Forst Jungfernheide über das Naturschutzgebiet Tegeler Stadtheide (Landschaftsraum Tegel) und den Landschaftspark bis zum Quartierspark im Wohngebiet Schumacher Quartier.

Das ehemalige Flughafenareal Tegel soll in den Jahren bis 2035 zu einem Modellprojekt nachhaltiger und zukunftsfähiger Stadtentwicklung qualifiziert werden. Welche Rolle spielt die Tegeler Stadtheide, für die Grün Berlin zukünftig die Verantwortung trägt, in diesem Prozess?

Die Weiterentwicklung der Tegeler Stadtheide zu einem Natur- und Landschaftsschutzgebiet schafft erst die baurechtliche Voraussetzung für die weitere Bebauung des Areals mit dem Forschungs- und Industriestandort „Urban Tech Republic“ und dem Wohngebiet „Schumacher Quartier“. Diese „naturschutzrechtliche Qualifizierung“ ist eine sogenannte „Ausgleichs- und Ersatzmaßnahme“ für die beiden durch Tegel Projekt geplanten Bauprojekte. Die Qualifizierung der Tegeler Stadtheide ist aber nicht nur Voraussetzung, sondern sie komplettiert darüber hinaus harmonisch die gesamte Standort-Entwicklung: Neben dem Schutz von Flora und Fauna bietet das Areal zukünftig auch genügend Raum für die Bürger*innen für Freizeitaktivitäten und Sport.

Ganz im Sinne des früheren Flughafen-Namensgebers und Forschers Otto-Lilienthal wollen wir darüber hinaus innovative Konzepte zur Naturerforschung und Wissensvermittlung etablieren. Dabei setzen wir konsequent auf nachhaltige Lösungen bei der Entwicklung des Areals: So wirkt sich eine großflächige Entsiegelung günstig auf die Durchlässigkeit der Böden, auf Kühlungseffekte durch Verdunstung und damit auf den (Regen-)Wasserkreislauf aus. Die „ökologische Baubegleitung“ der unentbehrlichen Kampfmittelräumung sorgt dafür, dass die Eingriffe tier- und pflanzenschonend erfolgen. Zudem bringen wir unsere Erfahrung aus anderen Grün-Berlin-Projekten ein, über unterschiedliche Bewirtschaftungsmethoden die biologische Vielfalt zu erhöhen sowie die vorhandenen Ökosysteme und Biotope zu verbessern, beispielsweise über Beweidung und ein dezidiertes Mahdsystem. Neuartig am Stadtentwicklungsprojekt Berlin TXL ist jedoch vor allem seine umfassende Ganzheitlichkeit: Die Tatsache, dass ein innerstädtisches Grundstück gleichzeitig als nachhaltiges Modellprojekt realisiert wird und hier zudem ein Naturschutzgebiet mit Freizeitnutzungen entsteht, ist einzigartig und hinsichtlich einer großstädtischen Klimabilanz zukunftsweisend.

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